Glücklicherweise eher die Ausnahme ist inzwischen die obige, etwas aus der Zeit gefallene ‚Umlaufsperre‘ in Köpenick. Auch für Rollstuhlfahrer und andere mobilitätseingeschränkte Menschen stellt sie ein unnötiges Hindernis, wenn nicht gar das Ende des Weges, dar. Doch auch regelkonforme Drängelgitter haben ihre Tücken.
Mobilität für Alle, von 8 bis 88 – das bedeutet barrierefreie Infrastruktur im Alltag wie in der Freizeit. In Nordrhein-Westfalen wurde dieses Ziel an der Römer-Lippe-Route für einen Radfernweg beispielhaft umgesetzt.
In Treptow-Köpenick sieht es mancherorts dagegen regelmäßig so aus:
Fotos: Wirtschaftsweg der Berliner Wasserbetriebe am S Rahnsdorf mit neuer Beschrankung und Blick auf den eigentlichen Beginn des Hegemeisterweges am S Rahnsdorf hinter der Bushaltestelle. Die Aufnahme der Beschrankung entstand im Sommer, inzwischen besteht der Grünstreifen links im Wesentlichen aus einer gut 20cm tiefen Matschkuhle. Der Fußweg nach dem Fußgängerüberweg ist deutlich untermaßig und mit Lasten- oder Spezialräder weder begeh- noch befahrbar. Es gibt ansonsten keine Absenkung des Bordsteines im Bereich der Bushaltestelle. cc-by-sa-4.0; Stg-TK des adfc-berlin
Der recht effektiv blockierte Weg ist tatsächlich die einzige Möglichkeit, barrierearm mit einem mehrspurigen Fahrrad vom S Rahnsdorf über den Hegemeisterweg nach Rahnsdorf selbst bzw. in das Waldgebiet zwischen Rahnsdorf und Wilhelmshagen zu kommen. Die Alternative zum Hegemeisterweg (der seit Jahren als Fuß- und Radweg ertüchtigt werden soll) wäre das Fahren im Mischverkehr auf einer Hauptverkehrsstraße ohne Radverkehrsanlagen.
Für Berlin ist das Mobilitätsgesetz in dieser Hinsicht deutlich:
„§ 3 : Mobilität für alle
Mobilität in Berlin soll bezogen auf die wesentlichen Wegezwecke
- an allen Tagen des Jahres und rund um die Uhr
- in allen Teilen Berlins gleichwertig und
- unabhängig von Alter, Geschlecht, Einkommen und persönlichen
Mobilitätsbeeinträchtigungen sowie von Lebenssituation, Herkunft oder individueller
Verkehrsmittelverfügbarkeit gewährleistet werden.“
Für Fuß- und Radverkehr ist auch die sportliche Betätigung, der Freizeitverkehr ein wesentlicher Zweck des Weges und geradezu notwendig zur Erhaltung von körperlicher und geistiger Gesundheit und Fitness. Dies gilt zu Pandemiezeiten noch in verstärktem Maße.
Barrierefreiheit – für wen?
Eine entscheidende Frage an dieser Stelle lautet: Für welche Gruppen von Radfahrenden und mithin welche Fahrzeugtypen soll ein barrierefreier Zugang zu Grünanlagen und Wäldern, oder auch nur die Benutzung relevanter Infrastruktur, gewährleistet werden?
Das Motto „Von 8 bis 88“ gibt eine Antwort vor: Auch die Mobilitätsbedürfnisse von Kindern und Senioren sollen effektiv berücksichtigt werden. Barrierefreiheit bezieht sich zu Recht aber auch auf Menschen mit temporären oder dauerhaften Behinderungen und Einschränkungen.
Radfahren für Alle bedeutet aus dieser Perspektive, dass Langsamkeit und Unsicherheit der Fahrer ebenso zu berücksichtigen ist, wie erhöhte Sperrigkeit und Gewicht notwendiger und nützlicher Spezialräder. Dies können neben den klassischen dreirädrigen ‚Seniorenrädern‘ und Kinderanhängern mehrspurige Liegeräder wie das Anthrotech oder auch Tandems verschiedenster Bauformen sein. Die Fahrradwelt wird wieder bunter und vielfältiger, während Velomobile und Velocars Autos ersetzen, kommen Paralleltandems für das begleitete Radfahren auch in Köpenicker Einrichtungen zum Einsatz. Lastenfahrräder, gerne auch mit Anhänger, für die ganze Familie oder Rikschas, wie sie bei Radeln ohne Alter Verwendung finden, können ihr Potential nur entfalten, wenn sie keinen unnötigen Hindernissen ausgesetzt sind.
Was ist nun mit den Drängelgittern?
Die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) von 2010 machen klare Vorgaben zur Gestaltung von Umlaufsperren, unter anderem einem Abstand der Gitter von 1,5 m voneinander. Diese Vorgaben werden in Treptow-Köpenick vielfach auch eingehalten, berücksichtigen jedoch in keiner Weise Gespanne, Spezial- oder Lastenräder. Auch für Rollstuhlfahrer oder Menschen mit Seh- und Gehbehinderung stellen selbst Umlaufsperren nach ERA Hindernisse dar. Im Besonderen an Gleisquerungen sind dagegen vielfach noch ältere Drängelgitter installiert, die nicht den Standards der ERA entsprechen und somit eine erhebliche Gefahrenquelle darstellen, da der Gefahrenbereich unter Umständen nicht schnell genug geräumt werden kann.
Tatsächlich sind Drängelgitter nach den ERA-Normen für geübte, gesunde und in keiner Weise eingeschränkte Radfahrer mit normalen Fahrrädern und leichten, kompakten Lastenfahrrädern bzw. ebensolchen Dreirädern im Regelfall passierbar. Dies zeigt sowohl die Erfahrung des Autoren wie die einschlägige Studie von Luise Braun.
Für ungeübte, erkrankte oder sonst eingeschränkte Radfahrer kann dies gänzlich anders aussehen: Das Durchqueren von Drängelgittern mit mehrspurigen oder langen Fahrrädern ist immer Zentimeterarbeit, besonders bei unzureichenden Einfahrbreiten.
In der Praxis wird die Passierbarkeit im Besonderen durch geringe Wegbreiten, bspw. durch Zäune oder andere Hindernisse am Wegesrand, deutlich erschwert. Gerade bei solchen seitlichen Beschränkungen, die einen engen Kurvenradius notwendig machen, wären daher Einfahrbreite und Abstand deutlich größer zu wählen als bei ausreichendem Rangierraum – oder gleich auf Umlaufsperren zu verzichten.
Bei Gespannen ist im Regelfall ein Absteigen und aufwändiges Durchfädeln notwendig, wenn ein Durchkommen überhaupt möglich ist. Nachfolgender oder entgegenkommender Fuß- und Radverkehr staut sich notwendigerweise. Besonders dann, wenn das Zugfahrzeug selbst ein Lastenrad oder Mehrspurer ist, bleibt nur das Abkoppeln und einzelne Durchschieben – oder die Suche nach einer Alternativroute.
Für größere und längere Fahrräder, etwa Rikschas oder Paralleltandems, ist ein Durchkommen dagegen praktisch nicht möglich. Vierrädrige Fahrräder können durch ihre sperrigere Bauform und den größeren Kurvenradius ebenfalls im Regelfall Umlaufsperren nicht passieren.
Wie kommen wir da besser durch?
Zu Dreirädern und Umlaufsperren hat sich detailliert Gregor Gaffga (TU Dresden) geäußert. Er bezieht sich auf S. 81 seiner Studienarbeit auch auf die österreichische RVS von 2013, welche einen Abstand von 2,5 m (statt 1,5 m wie die ERA) zwischen den Gittern und keine Überlappung derselbigen vorsieht „um die Befahrbarkeit mit Fahrradanhängern zu ermöglichen“. Als Einfahrtsbreite sieht er 1,5 m vor (ebd., 82). Für Abstände zwischen einzeln stehenden Pfosten schlägt er 1,4 m vor, was einer realistischen Einschätzung des Verkehrsraumes von mehrspurigen Fahrrädern entspricht und tatsächlich praktisch alle hier besprochenen Fahrradtypen durchlässt.
Der ADFC Bundesverband hat 2015 zu Umlaufsperren und Pollern ein Positionspapier mit Hintergrundinformationen und Alternativen veröffentlicht, in dem er sich klar gegen diese ausspricht: „Der ADFC fordert, auf die Installation von Pollern, Umlaufsperren und ähnlichen Verkehrseinrichtungen generell zu verzichten.“ Der ADFC Berlin hat sich in der Radzeit ähnlich zu Drängelgittern am Berlin-Usedom-Radweg geäußert.
Klar ist, dass solche Barrieren immer den Verkehrsfluss des Fuß- und Radverkehres stören. Sie schaffen künstlich Engstellen in Fuß- und Radverkehrsnetzen und verringern damit die Attraktivität des Umweltverbundes.
Wenn diese als unbedingt notwendig erachtet werden, so stellen die obigen Standards nach Gaffga bzw. RVS, im Besonderen bei sonst engen Wegeverhältnissen und unabhängig von der Wegebreite, einen gangbaren Weg dar. Sie erhalten die Funktion der Verkehrsberuhigung und Filterung der Verkehre von Umlaufsperren und Pollern, ohne Menschen mit Mobilitätseinschränkungen und Radfahrer generell zu diskriminieren und unnötig einzuschränken.
Fragen und Anregungen zum Thema gerne an radnetz@adfc-tk.de
An Radwegen notwendige Umlaufsperren können auch durch schräg zur Fahrbahn angeordnete Gitter nutzerfreundlich und einigermaßen verkehrssicher gestaltet werden.
Eine solche Lösung wird in den diesbezüglichen ADAC-Empfehlungen dargestellt. Realisiert wurde ein solche Variante z. B. an der Auffahrt des Berliner Mauerweges zu dem die Autobahnbrücke der A113 begleitenden Radweg am Ernst-Ruska-Ufer/ Hermann-Dorner-Allee. Mutige „Aktivisten“ hatten dort zuvor die ursprünglich überlappt und mit offensichtlich zu geringem Abstand rechtwinklig zum Radweg – den Radverkehr behindernd, wie auch gefährdend – angeordneten Gitter in rechtlich wohl fragwürdiger „Selbsthilfe“ demontiert.
Ja, danke für deinen Hinweis! Diese Variante wird auch im Positionspapier des ADFC erwähnt. Wenn, dann sollten auch hier 1,5 m Durchfahrtsbreite gewährleistet sein.
Ist es möglich, dazu Beispielfotos zu bekommen? Bisher kenne auch ich nur die Empfehlung, die beim ADFC-Bundesverband noch veröffentlicht ist, aus 2015.
Zu was genau? Zu den Schräggittern hat bspw. Wikipedia ein älteres Positivbeispiel aus Berlin:
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Umlaufsperre_schr%C3%A4g_Berlin_Gropiusstadt.jpg
In einer verkehrsrechtlichen Anordnung aus dem Jahre 1988 steht für „eine versetzte, umlegbare Absperrschranke“: VZ 507. In den aktuellen Übersichten über Verkehrszeichen heutzutage gibt es die Nr. 507 für Verkehrszeichen längst nicht mehr. Schon der Nationale Radverkehrsplan 2012 enthielt eine deutliche Aussage zum Abbau von Umlaufsperren. In der aktuellen StVO kommt der Begriff „Umlaufsperre“ ebenfalls nicht vor. Lediglich die ERA 2010, die keine Rechtsvorschrift darstellt, gibt es die Ziffer 11.1.10 zu Sperrpfosten, Umlaufsperren und ähnliche Einbauten. In einigen Radstrategien der Bundesländer wird ebenfalls der Abbau von Umlaufsperren gefordert. Sie sind schlicht nicht mehr zeitgemäß und es gibt andere und zugleich verkehrssichere Lösungen.