Der Bahnhof Schöneweide ist nicht nur aus Sicht der Radfahrenden ein „schwieriger Fall“. Im Lauf der letzten Jahrzehnte waren die Planungen gut gemeint – aber nicht gut gemacht. Dazu kam 2018 das Berliner Mobilitätsgesetz, das die Planungsunterlagen der Fahrradanlagen zum Sanierungsfall gemacht hat. Eine lange Geschichte …
Es tut sich einiges rund um den Bahnhof Schöneweide. Im Zuge der Realisierung der „Verkehrslösung Schöneweide“ werden Gleisanlagen für die Straßenbahn neu errichtet. Die am 30.10.2021 eröffnende Straßenbahnneubaustrecke „Adlershof II“ wird vom Groß-Berliner Damm kommend über den Sterndamm an das bestehende Gleisnetz angeschlossen und Straßenbahn- und Bushaltestellen werden dauerhaft verlegt. Vordergründiges Ziel dieser Maßnahmen ist eine deutliche Verbesserung der Umsteigebeziehungen zwischen Bus, Straßen-, S- sowie Regionalbahnen rund um den Bahnhof Schöneweide. Daher sind sie von weitreichender Bedeutung für die Stärkung des ÖPNV in Treptow-Köpenick und auch darüber hinaus.
Weiterhin bietet sich im Rahmen dieser groß angelegten Umgestaltung auch die Möglichkeit entlang des Sterndamms, im Bereich der Unterführung sowie an der Kreuzung Sterndamm/B96a, den Radverkehr endlich mitzudenken – denn bisher fehlten dort Radverkehrsanlagen vollständig. Auf dem kurzen Abschnitt des Sterndamms ist dies bereits gelungen: die neuen Fahrbahnen werden von 2 m breiten, asphaltierten Hochbordradwegen flankiert. Für die beiden anderen Abschnitte scheint es aktuell jedoch kein tragfähiges Konzept für eine sichere und komfortable Radverkehrslösung zu geben.
Früher und heute
Vor Beginn der Umbaumaßnahmen fehlte im gesamten betroffenen Bereich jegliche Radverkehrsinfrastruktur, Radfahrende mussten sich in den dichten und teilweise schnell fließenden Verkehr einordnen. Der Fußverkehr musste aus Johannisthal kommend die Straßenseite wechseln, um die Bahnlinie unterqueren zu können. Auf der rechten Straßenseite existiert auch heute noch lediglich eine Notgehbahn mit einer Breite von ca. 0,6 m.
Auf dem Sterndamm wurden die Verkehrsflächen zwischen der Kreuzung Groß-Berliner Damm/Sterndamm/Südostallee und der Unterführung vollkommen neu aufgeteilt: mehr Platz für den Umweltverbund, Haltestellen in Mittellage und 2 m breite, asphaltierte Hochbordradwege.
Juni 2008 (Google Streetview) heute
Mit Beginn der Bauarbeiten wurde unmittelbar vor und in der Unterführung ein Radschutzstreifen auf der Fahrbahn markiert. Bereits heute zeigt sich deutlich, dass diese Lösung auch aufgrund der Verschwenkung des Sterndamms in die Unterführung für den Radverkehr nicht sicher ist, da der Schutzstreifen von Kfz-Fahrenden unbeachtet überfahren oder geschnitten wird. Auch gefährliche Überholmanöver, welche im Bereich der Unterführung aufgrund der geringen Fahrbahnbreite und des somit nicht einzuhaltenden seitlichen Sicherheitsabstandes von 1,5 m zu Radfahrenden eigentlich verboten sind, finden regelmäßig statt.
Im Vorfeld der Kreuzung Sterndamm/B96a sehen sich Radfahrende dann mit einer gefährlichen Situation konfrontiert: eine Rechtsabbiegespur muss überquert werden, wenn auf die B96a stadteinwärts (nach links) abgebogen werden soll. Für Radfahrende gefährliche Situationen können hier beinahe im Minutentakt beobachtet werden. Diese Konstellation ähnelt sehr einer so genannten Fahrradweiche, welche inzwischen umgangssprachlich auch als „Angst-“ oder sogar „Todesweichen“ bezeichnet werden. Bei diesen kreuzen Kfz-Fahrende den geradeaus führenden Radstreifen oft rücksichtslos, um sich in die Rechtsabbiegespur einzuordnen. Diese Situationen weisen ein hohes Gefährdungspotential für Radfahrende auf, welches auch in einer Studie der TU Berlin aus dem Jahr 2019 benannt wird: im Gegensatz zu den Erwartungen der Verkehrsplanung stiege verglichen mit einem klassischem Kreuzungsdesign an Radweichen im Allgemeinen „der Anteil der Unfälle mit schwerem Personenschaden“ sogar (vgl.: Einsatzbereiche von Radfahrstreifen in Mittellage. Beyer, Junghanns, Kramer, Mross. TU Berlin, 2019). Zusätzlich fühlt sich ein Großteil der Radfahrenden auf solchen „Radwegen in Mittellage“ auch nicht sicher. Gerade aber dieses subjektive Sicherheitsempfinden ist wichtiger Aspekt einer fahrradfreundlichen Infrastruktur. Besonders pikant: genau dieser Zustand sollte in den ursprünglichen Planungen des Bezirksamtes Treptow-Köpenick aus dem Jahr 2005 durch Einrichtung einer Fahrradweiche beibehalten werden.
In Richtung Johannisthal fahrend ist der Radverkehr in der Unterführung durch einen Schrammbord vom Kfz-Verkehr getrennt und fährt im Begegnungsverkehr mit der Straßenbahn. Dies ist möglich, da die Durchfahrt der Unterführung für Kfz in dieser Richtung untersagt wurde. Anschließend müssen nach Abschluss der Arbeiten an einer Ampel einige Gleise zur Gleisschleife überquert werden, bevor es auch hier auf einem 2m breiten und asphaltierten Hochbordradweg weitergeht. Positiv zu bewerten ist die neue Mittellage der Straßenbahn- und Bushaltestelle: hier ist von einer relativen Konfliktfreiheit zwischen Rad- und Fußverkehr auszugehen.
Die bisherigen Pläne
Die alte Planung des Bezirksamtes aus dem Jahr 2005 genügt nicht mehr den Anforderungen, welche im Berliner Mobilitätsgesetz festgeschrieben sind. Diese Entwicklung ist auch im Bezirksamt Treptow-Köpenick bekannt. Positiv sehen wir, dass es bereits mehrmals Einladungen zur Mitarbeit an einer radverkehrsfreundlich(eren) Lösung in diesem Bereich gab. Bei den neu zu erstellenden Planungen hoffen wir daher auf eine sichere und komfortable Führung sowohl des Rad-, als auch des Fußverkehrs.
Unsere Befürchtung, dass mit der Errichtung einer Fahrradweiche im Kreuzungsbreich die dort bisher für den Radverkehr vorherrschende gefährliche Verkehrssituation verfestigt wird, bestätigt sich somit Dank der geänderten gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht. Dieser Typ Infrastruktur wird in Berlin generell nicht mehr realisiert und bereits existierende Fahrradweichen sollen überprüft werden. Auch die Hochbordradwege am Sterndamm sollten eigentlich nur eine Breite von 1,6 m bekommen. Hier wurden bereits Anpassungen vorgenommen, die jetzt errichteten Wege weisen eine Breite von 2 m auf. Auch bei dem in der Unterführung geplanten gemeinsamen Geh- und Radweg mit einer Breite von 1,6 m ist davon auszugehen, dass diese konfliktträchtige Form der geteilten Infrastruktur nicht realisiert werden wird.
Wann eine aktualisierte Planung vorgelegt werden kann, ist bisher nicht absehbar. Im Folgenden wollen wir daher noch unsere Ideen zu einer zeitgemäßen Radverkehrslösung an dieser Stelle vorstellen.
Unsere Idee für eine zeitgemäße Radverkehrsführung
Für eine erfolgreiche Verkehrswende ist die flächendenke Schaffung einer fehlerverzeihenden Radverkehrsinfrastruktur, welche von allen Menschen sicher und komfortabel mit dem Fahrrad befahren werden kann, elementar. Die Unterführung der Bahnlinie am Sterndamm ist die wichtigste Verbindung zwischen Schöneweide und Johannisthal sowie dem weiter wachsenden Technologiepark Adlershof. Eine grundlegende Verbesserung der Situation für Radfahrende ist daher im Rahmen der durchzuführenden Arbeiten unerlässlich!
Vordergründig sind für uns dabei zwei Sicherheitsaspekte: ein Radschutzstreifen ist im allgemeinen, insbesondere aber auch aufgrund der aktuellen Erfahrungen während der Bauphase, als Radverkehrslösung in der Unterführung ungeeignet. Die Probleme des Überfahrens, Schneidens und Überholens ohne ausreichenden Sicherheitsabstand werden auch nach einer Verstetigung des Schutzstreifens weiterhin bestehen. Diesen wäre nur nur durch eine bauliche Trennung vom Kraftverkehr, beispielsweise durch Poller, wirkungsvoll zu begegnen. Alternativ wäre die Führung über einen Bussonderfahrstreifen mit Radverkehrsfreigabe. Neben einer weiteren Stärkung des ÖPNV würde dadurch auch eine ausreichende räumliche Trennung zwischen Rad- und Kraftverkehr hergestellt, sodass ein sicheres Durchradeln der Unterführung möglich wird. Auch die Rettungskräfte der Feuerwache am Groß-Berliner Damm könnten so mit ihren Einsatzfahrzeugen am Rückstau der Ampelkreuzung Sterndamm/B96a vorbei fahren.
Für die bisher ungeklärte Situation an Kreuzung des Sterndamms mit der B96a sind zwei Optionen denkbar: wird eine der in den Unterlagen von 2005 vorgesehenen Linksabbiegespuren des Kraftverkehrs aufgegeben und der heute noch baulich angelegte Rechtsabbieger als reguläre Abbiegespur realisiert, so wird rechts der Fahrbahn Platz frei, um dort baulich vom Kraftverkehr getrennte und ausreichend breite, separate Abbiegespuren für den Radverkehr einzurichten. Durch getrennte Ampelphasen wird der abbiegende Radverkehr vom Kraftverkehr getrennt und eine sichere Weiterfahrt ermöglicht. Auch Einsatz- und Rettungsfahrzeuge könnten diesen Abbiegestreifen befahren. Alternativ könnte die Busspur bis zur Kreuzung verlängert und der Radverkehr über diese bis vor die Haltelinie geführt werden, wo auf voller Breite eine Aufstellfläche für den Radverkehr eingerichtet wird. Durch eine Trennung der Ampelphasen oder einige Sekunden Vorlaufgrün für den Radverkehr kann die B96a so sicher überquert werden.
Spätestens bei der Auffahrt über eine viel zu hohe Bordsteinkante zum benutzungspflichtigen geteilten Geh- und Radweg, wenn links auf die B96a abgebogen wurde, würden Radfahrende dann aber wieder um Jahrzehnte in eine autozentrierte Verkehrsplanung zurückversetzt – auch hier herrscht dringender Handlungsbedarf!
Sehr fundierte Analyse und konstruktive Vorschläge !
Dies wäre eigentlich der Job der Radverkehrsverantwortlichen des BA Treptow-Köpenick gewesen.
In einem Telefonat mit der neuen Bezirksstadträtin Claudia Leisttner habe ich sie gebeten, sich dafür einzusetzen, dass der Abschnitt des Sterndamms unter der Bahnbrücke für Radfahrende
1. in der derzeitigen Situation absolut gefährlich ist, da kein [geschützter] Radweg vorhanden ist. Die 2 Fahrbahnen sind so schmal, dass ein gefahrloses Überholen von Radfahrenden sogar von normal-breiten PKW´s [geschweige denn LKW´s/Bussen] nicht möglich ist, aber dennoch Alltag ist. Als kurzfristige Lösung der Gefahrensituatin schlage ich das Anbringen des neuen Verkehrszeichens „Überholverbot für einspurige Fahrzeuge“ vor. Das kann zumindest die Autofahrenden für die Gefahrsituation sensibilisieren.
2. als Endlösung nach dem Umbau des Sterndammabschnitts und entfernen der Tramgleise sollten in jedem Falls geschützte Radfahrspuren unter der Brücke angelegt werden. Gemeinsame Fuß- und Radwege sind nicht akzeptabel (besonders in Fahrtrichtung Johannisthal, wenn Menschenmassen aus den S-Bahn-Ausgängen herausströmen).
Die Bau- und Stadtentwicklungs-Stadträtin zeigte sich aufgeschlossen gegenüber den Vorschlägen. Sicher würde ein zusätzlicher Einsatz des ADFC in dieser Angelegenheit nützlich sein.
Lieber Herr Wittke,
vielen Dank für Ihren Beitrag. Wir werden das Thema bei unserem nächsten offenen Treffen am 14.12. aufgreifen und dazu beraten. Sollten wir im Austausch mit dem Bezirksamt neue Informationen in Erfahrung bringen, gehe ich davon aus, dass wir diese auch hier im Blog als Nachtrag zum obigen Beitrag aufgreifen werden.
Meiner Meinung nach ist, wie so oft, auch an dieser Stelle Dank veränderter Rahmenbedingungen (Änderungen der StVO, vorallem aber Berliner Mobilitätsgesetz, evtl. Anpassung der ERA) nicht mehr die Frage, ob Verbesserungen für den Rad- und Fußverkehr erreicht werden, sondern wann. Leider erwarte ich, dass wir noch ein paar Jahre auf eine grundlegende Umgestaltung der Unterführung und auch des Bahnofsvorplatzes warten müssen.